Nur vier Stunden dauerte die Überfahrt von Chaitén auf die Insel Chiloé und trotzdem brachte sie uns in eine ganz andere Welt. Wir hatten keine richtige Vorstellung davon was uns auf Chiloé erwartet und ich sagte auf der Fähre noch zu Malte, dass die Dauer unseres Aufenthalts zwischen 3 Tagen und 2 Wochen so ziemlich alles betragen kann. Es wurden dann tatsächlich ganze drei Wochen. Diese Insel hat uns völlig in ihren Bann gezogen und sich zu einem unserer absoluten Lieblings-Orte gemausert. Es fing damit an, dass wir erstmals auf der Reise das Gefühl hatten richtig aufzufallen und ziemlich allein als internationale Touristen unter vielen Chilenen waren. Schon auf der Fähre wurde ich „heimlich“ fotografiert und auf dem Festival in Quellon, welches wir zufällig am ersten Abend fanden, gab man uns als exotische Ausländer direkt ein Bier aus. Das Festival war ein echtes Highlight, kein Eintritt, günstige Futter-Buden mit Ceviche statt Bratwurst, gute Bands und ein Meerschweinchen-Roulette. Statt einer Kugel wetzt hierbei ein Meerschweinchen im Kreis und sucht sich ein Häuschen mit einer der zuvor an die Zuschauer verkauften Nummern aus. Zu gewinnen gibt es Kaltgetränke aller Art. Wenn das auf dem Hamburger Dom mal kein Publikumsmagnet wäre. 🙂 Das war schon mal ein guter Start in die Zeit auf der Insel, es wurde aber immer besser.

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Wir fanden ausnahmslos tolle Übernachtungsplätze und günstige und gute Einkaufsmöglichkeiten an vielen Straßenständen, das Wetter war herrlich und mutete wie der perfekte nordeuropäische Sommer an. Die schreienden Möwen und die sehr grüne Vegetation weckten ebenfalls leichte Heimatgefühle. Einen der bisher schönsten Plätze unserer Reise fanden wir etwas weiter im Norden der Insel. Wir bogen einfach Richtung Küste ab und nach einigen Kilometern auf staubigen Straßen wies ein Schild zu einem Café. Das Café entpuppte sich als kleines, familiäres, völlig abgeschiedenes Café mit traumhaftem Garten. Obstbäume mit reifen Pflaumen von denen man sich nach Herzenslust bedienen konnte und Apfelbäume, die noch ein paar Wochen bis zur Ernte brauchten. Darüber hinaus unzählige Kräuter, die uns der herzliche Besitzer mit heißem Wasser aufgegossen als leckere Tees servierte und auf Wunsch auch ein frisches typisch chilenisches Abendessen. Wir waren die einzigen Gäste weit und breit und durften in dem Garten mit Blick auf den glasklaren Fjord und die vorgelagerten Inseln mit ihren bunt bemalten Holzhäuschen campen und fanden uns plötzlich in der perfekten Bullerbü-Idylle wieder. Zwei See-Kayaks konnten wir ausleihen, um die wunderschöne Gegend auch vom Wasser aus zu bewundern. 

Der Fjord war zwar eiskalt, lud aber dennoch zum Baden ein. Direkt von unserem Stellplatz aus konnten wir eine Robbe auf der Jagd nach Fisch und in der Dämmerung sogar drei springende kleine Delfine beobachten, sowie viele Angler und Schiffe, die vollbeladen mit Muscheln oder Algen anlegten und ihre Ware auf LKWs umluden. Neben der Landwirtschaft (Chiloé gilt neben Peru als Heimat der Kartoffel) ist der Muschel- und Algenfang die Haupteinnahmequelle der Chiloten. Wir genossen die Ruhe, das Wetter, das völlig authentische chilenische Fischer-Leben und die Herzlichkeit der Menschen ein paar Tage lang, bevor wir diesen fantastischen Ort wieder hinter uns ließen. Perfekter konnte das Campingleben nicht sein und lediglich die völlige Einsamkeit erinnerte uns gelegentlich daran, dass wir nicht in Nord-Europa sind sondern in Südamerika. Bei uns wäre so ein Platz wohl leider restlos überfüllt.

Wir dachten in der Tat, dass das nicht mehr zu toppen sei und fuhren etwas wehmütig einige Kilometer weiter in Richtung Norden. Erst mal in den Hauptort der Insel, Castro, um mal wieder Wäsche waschen zu lassen und einzukaufen. Das hektische Treiben (eine 30.000 Einwohner Stadt beginnt bereits uns zu überfordern…) wurde uns schnell zu viel und wir bogen wieder ab, dieses Mal auf die ruhige Halbinsel Rilán. Dort tauchte am Straßenrand plötzlich ein Schild auf, welches uns zu „Marion’s Café aleman“ wies. Wir hatten schon wieder richtig Kaffeedurst und so folgten wir einigen weiteren Schildern bis wir auf einem idyllischen Grundstück landeten, bestanden mit liebevoll hergerichteten Holzhäusern zwischen Obstbäumen, einem Pfad hinunter an den Strand und allerlei Tieren (Alpacas, Schafe, Enten, Katzen und Hunde). Die Besitzer dieses traumhaften Orts, Marion und Jörg, begrüßten uns herzlich auf deutsch und wir genossen einen herrlichen Nachmittag auf der Terrasse bei Quiche, Salat und dem besten Kuchen Südamerikas, alles hausgemacht und zum Teil selber angebaut. Als uns dann noch Chicha (Apfel-Most) angeboten wurde, klärten wir schnell, ob wir denn auf dem Parkplatz nächtigen dürfen und genossen auch noch den Most und anschließend eine ruhige Nacht mitten in der Idylle. 

Aus diesem spontanen Kaffeetrinken mit Übernachtung wurde ein Aufenthalt von ganzen zwei Wochen. Bereits nach kurzer Zeit fühlten wir uns fast wie Familienmitglieder und halfen auf der einen Seite tatkräftig im Café und auf dem Hof. Auf der anderen Seite ließen wir uns so richtig verwöhnen mit immer neuen hervorragenden Kuchenkreationen aus Marion’s Küche und entspannten Stunden in diesem Paradies mit Blick auf den Fjord. Nach getaner Arbeit gab es immer eine gute hausgemachte Mahlzeit in familiärer Atmosphäre (selbstgebackenes Vollkornbrot!!!, frisches Lamm, Schwein, Rind oder Huhn vom Grill, frischen Thunfisch, Salat vom benachbarten Hof u.v.m.). 

Langweilig wurde es hier nie. Die vielen Tiere mussten versorgt, die reifen Pflaumen vom Baum geerntet und entsteint werden, das ganze Geschirr gespült (ohne fließend warmes Wasser eine größere Herausforderung als sonst in der Gastronomie), das viele Fallobst musste täglich eingesammelt, eine immer mal spontan ausgefallene Arbeitskraft ersetzt werden oder oder oder. Wie die beiden das in der Hauptsaison alles normalerweise ziemlich alleine bewältigen ist wirklich beeindruckend. Da freuten wir uns, wenn wir ihnen den ein oder anderen Handgriff abnehmen und uns so einen Schlafplatz und die tolle Verpflegung erarbeiten konnten. 

Mit großem Spaß schnibbelten wir täglich einen großen Korb Äpfel für die süßen Alpacas, entwickelten innovative Erntemethoden für besonders hoch hängende Pflaumen (ich auf Maltes Schultern), halfen entlaufene Schafe wieder einzufangen, holten frisches Gemüse von benachbarten Höfen oder legten uns auch einfach mal auf die Alpaca Wiese und ließen uns von den neugierigen Tieren beschnuppern oder erforschten das Verhalten der See-Löwen im Fjord (zwei stattliche Männchen fanden das gar nicht gut und gaben unserem Kajak durchaus bedrohlichen Begleitschutz bis an den Strand :-0). Wenn uns doch mal wieder der Sinn nach etwas Trubel stand, konnten wir den Café-eigenen Boot-Shuttle-Service über den Fjord nach Castro nutzen. Die beiden haben sich wirklich ein Paradies geschaffen, welches zu besuchen man jedem gestressten Menschen in der Heimat nur ans Herz legen kann. Einen entschleunigenderen Ort gibt es wohl nicht. Und auch wenn wir beide schon lange ziemlich entschleunigt sind, tat es uns gut mal wieder ein Zuhause auf Zeit zu haben, deutsch zu sprechen und so viel von den beiden über Land und Leute zu erfahren. Auch etwas Arbeit machte nach 4,5 Monaten auf Reisen mal wieder Spaß, wobei wir feststellen mussten, dass wir die körperliche Arbeit wirklich gar nicht gewohnt sind und jeden Abend totmüde ins Bett fielen. 

Wir beschlossen, uns die restliche Insel mit ihren charmanten Örtchen und den berühmten bunten Stabkirchen in Form von Tagesausflügen anzusehen und so viel Zeit wie möglich auf dem Hof zu verbringen. Wir verbrachten noch eine Nacht direkt am Strand und freuten uns am nächsten Tag wieder „nach Hause“ zu kommen. Es ist unglaublich schön, wenn man sich mal wieder an einem Ort auskennt, weiß wo es was zu kaufen gibt und nicht zuletzt mal wieder in so familiärer Umgebung willkommen geheißen wird. Was für ein Unterschied zu unserem sonstigen Alltag, in dem wir uns jeden Tag um alles kümmern, alles organisieren und in immer neuer Umgebung heraus finden müssen wo es was gibt. So entschieden wir, auch meinen Geburtstag und einen Tag vorher Marion’s 10-jähriges Jubiläum in Chile gemeinsam zu feiern.

Die Feierlichkeiten waren ein voller Erfolg und Marion, Jörg, Malte und Josepha (eine deutsche Reisende, die auch ein paar Tage auf dem Hof blieb) bereiteten mir einen großartigen Geburtstag mit allem was dazu gehört. Mich erwartete ein traumhafter Geburtstagstisch mit selbstgepflückten Blumen, selbstgebackenem Kuchen, warmen Croissants und und und. Hinzu kam, dass ich erstmals im Leben mein Geburtstagsdinner im Freien einnehmen konnte und wir ließen uns einige Köstlichkeiten mit begleitendem Pisco Sour und chilenischem Wein schmecken. Schöner hätte es kaum sein können.

Nach so langer Zeit fiel der Abschied dann tränenreich aus und nur schweren Herzens verabschiedeten wir uns schließlich von Marion, Jörg, unserem Lieblingshund Linda und dem Campo, um nun den Rest von Chile zu erkunden. Wir verweilen inzwischen am Lago Llanquihue mit Blick auf die drei beeindruckenden Vulkane Osorno, Puntiagudo und Calbuco und in stark von deutschen Einwanderern geprägter Umgebung. Gleich nebenan ist der Club Gimnástico Alemán und die Häuser und Gärten sehen etwas altmodisch deutsch aus. Nach der Pause haben wir wieder Energie für neue Abenteuer und Erlebnisse und freuen auf die vielen Dinge, die noch vor uns liegen.

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Unterkünfte

Ort: Quellon
Art: Campingplatz
Preis: 8.000 CLP
Annehmlichkeiten: einfache Waschhäuser, warme Duschen, Wifi, Strom, überdachter Tisch und Bänke an jedem Platz
Sonstiges: nette Besitzer, super Wiesenplatz mit Aussicht auf Quellon und den Hafen
Koordinaten: S 43.13177, W 73.63490

Ort: Quinched
Art: Campingplatz
Preis: 10.000 CLP
Annehmlichkeiten: Toiletten, kalte Duschen, Café, Kajaks
Sonstiges: einer der schönsten Plätze unserer Reise, abgeschieden, nicht offiziell ausgeschildert
Koordinaten: S 42.57425, W 73.75940

Ort: Halbinsel Rilán
Art: Café
Preis: tbd
Annehmlichkeiten: der beste Kuchen Südamerikas 🙂
Sonstiges: Marion und Jörg betreiben hier mit viel Herzblut ein deutsches Café, welches auch ein (in Zukunft auch zwei) Gästezimmer hat
Koordinaten: S 42.50316, W 73.73975

Ort: Isla Quinchao
Art: Camping am Strand
Preis: kostenlos
Annehmlichkeiten: keine
Sonstiges: herrlicher Ausblick, absolute Ruhe
Koordinaten: S 42.55508, W 73.39571

Ort: Nahe Ancud
Art: Camping am Strand
Preis: kostenlos
Annehmlichkeiten: keine
Sonstiges: ruhiger Platz mit fantastischem Blick auf das Wasser und Delfine
Koordinaten: S 41.83493, W 73.71412

Ort: Llanquihue
Art: Campingplatz
Preis: 16.000 CLP
Annehmlichkeiten: warme Duschen, Wifi, Wasser und Strom an jedem Platz
Sonstiges: direkt am Strand mit Blick auf die Vulkane
Koordinaten: S 41.24664, W 73.00705

8 Gedanken zu “Chiloé – Unverhofftes Paradies in Chile

  1. Herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag und alles Gute für das neue Lebensjahr.
    Danke für den wieder sehr lesenswerten Bericht und weiterhin eine gute und sichere Reise.
    Liebe Grüße aus D, Peter (Pedro930)

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  2. Und wieder ein sehr schöner Bericht!th Man versteht, warum so viele Deutsche nach Chile ausgewandert sind . Gute Reise und liebe Grüße von Horst 😀🐻

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  3. Und wieder so ein schöner Bericht. Diesmal doch sehr emotional und trotzdem sehr ausgeglichen und ruhig, wie eben wohl auch die Zeit dort war. Schööön……. wir freuen uns für euch.

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  4. Besser kann man einen Geburtstag nicht feiern: Gutes Essen in netter Gesellschaft 😀 Was braucht man mehr?
    Wieviele km stehen nun eigentlich bei Dulli auf dem Tacho?

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  5. Bei Dulli stehen 65.000km auf dem Tacho. Davon wurden 13.000km überwiegend anstandslos (auf Holz klopfend) absolviert. Das soll auch so bleiben. Wir schmieren aber auch bei jeder Gelegenheit und checken jede Schraube.
    Alis Geburtstag war großartig!!

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